Hatasiz kul ol / Be without faults!, 2010

Installation view, Vienna Ankara, Gallery Nev, Ankara, 2010

Viele Arbeiten von Songül Boyraz beschäftigen sich auch mit dem Körper als performatives Instrument, um Emotionen auszudrücken. Das Ausleben von Aggressionen über den eigenen Körper ist auch das zentrale Thema ihrer aktuellen Arbeit, die in der Ausstellung präsentiert wird. Darin spricht sie einmal mehr die für sie wesentlichen Themen wie Individualismus und Gruppenzugehörigkeit an. Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist ein Phänomenen der derzeitigen türkischen Popkultur: Jugendliche ritzen sich Songtexte brutal mit der Rasierklinge in den Körper, als Ausdruck einer Haltung und als Möglichkeit, sich als Teil eines rebellierenden Kollektivs zu definieren. Die Botschaften der Lieder werden direkt über den eigenen Körper ausgelebt und finden so ihren Ausdruck in einer öffentlichen Sichtbarkeit. Songül Boyraz spürt diesem Phänomen nach, indem sie sich selbst ebenfalls mit der Rasierklinge einen Satz in die Haut einschreibt und das Ergebnis fotografisch festhält.

Hatasiz kul ol / Be without faults!, 2010
Photo, size variable

Ausgangspunkt waren die Texte des derzeit populärsten Popmusikers der Türkei, Orhan Gencebay. Doch verändert sie den Sinn seines Liedtextes und formt aus »Hatasiz kul olmaz« einen affirmativen Ausruf. Aus: »Es gibt keinen Menschen ohne Fehler« wird der Aufruf: »Hatasiz kul ol!« – »Sei ein Mensch ohne Fehler«. Zum anderen lässt die Künstlerin die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum verschwinden und entwirft ein Denkmal für die Popkultur, auch in Anspielung auf die Verbindung Wien-Ankara in der Zwischenkriegszeit, als Bildhauer wie Anton Hanak, Josef Thorak oder Heinrich Krippel in der Türkei arbeiteten. Letzterer schuf u.a. 1926 das erste Denkmal Mustafa Kemal Atatürks. Diese Denkmäler sind bis heute Teil des urbanen Stadtbildes.
(Auszug aus WIEN – ANKARA von Silvie Aigner)